Mensch, Land, Fluss – Noch einmal in Poznań

Wir kommen in Poznań Główny an, wie in einer unübersichtlichen Mall. Die Sonne scheint auch im Winter auf die riesige Glasfassade, die Luft ist zugig, oder doch eher drückend? Einige Passant:innen, mit denen wir die lange Rolltreppe besteigen, die leider nicht rollt, scheinen nicht besonders glücklich mit dem neuen Hauptbahnhof zu sein. „Schon wieder kaputt“, schütteln sie den Kopf. Wie klein der alte, verriegelte Bahnhof neben dem Neuen wirkt. Ich hätte ihn größer erinnert. Ob ich ihn vermisse, mit seiner Übersichtlichkeit? Ich weiss es nicht.

Einen kurzen Spaziergang vom Hauptbahnhof entfernt suchen wir im Stadtteil Jeżyce einen Buchladen. Wir sprechen über Buchläden, die wir mögen. Wie damit umgehen, wenn ein Buchladen schließt, dauerhaft? Wir sind gedanklich noch in Berlin, und bei den Dingen, die verschwinden. Wir schlendern, meinem Navi folgend, weiter zum Buchladen in Poznań-Jeżyce – und: er ist geschlossen!

Irrtum, es handelt sich nicht um eine dauerhafte Schließung, sondern um einen Umzug, der erst vor drei Wochen stattgefunden hat. Kurz darauf befinden wir uns im neuen „Bookowski“, der sich seinem Namen entsprechend trendy präsentiert. Ich entdecke den Sammelband „Fyrtle“. So werden also die Stadtteile heute genannt, liebevoll, in polnischer Aussprache des deutschen Wortes „Viertel“. Es gehe darum, die Stadtteilzugehörigkeiten zu stärken; das Stadtteilmarketing fördert künstlerische Beiträge zu diesem Zweck. Ein dominantes Thema: wie grün die Viertel werden, und wie sie sich hinwenden zu den Gewässern der Stadt. Im Netz erfahre ich, dass ich per Fahrrad und dank eines guten Radwegs, der “Wartostrada”, ein reiches Freizeitangebot entlang des Flusses wahrnehmen kann. An der Warthe werden zur Sommersonnenwende, einem slawischen Brauch folgend, Blumenkränze aufs Wasser geschickt.

Eine kompetente Buchhändlerin berät uns und wir finden Bücher und Publikationen zur Oder. Als ich erwähne, dass wir soeben aus Berlin kommen, leuchten die Augen der Buchhändlerin auf: „die Buchläden in Eurer Stadt sind sicher toll!“ Wie sie darauf käme, frage ich, und sie kommt auf die Buchpreisbindung zu sprechen, die es in Deutschland gibt und die sie für Polen leider überhaupt nicht kommen sehe.

Aus dem „Bookowski“ heraustretend, stehen wir vor einem riesigen Bürogebäude, genannt „Bałtyk“, nach dem früher an dieser Stelle stehenden großen Kino. Hier befindet sich auch das „Concordia Design“, ein Zentrum der Kreativ- und Designwirtschaft, im sanierten Gebäude einer ehemaligen Druckerei. Wir steuern auf die „Przystań Sztuki“, eine „Kunsthaltestelle“ zwischen diesen Gebäuden zu. Und entdecken: die Stills eines Dokumentarfilms, der uns kurz vor dieser Reise empfohlen worden war, und den wir an dieser Stelle weiterempfehlend: „Przynoszę Ci Dzikość“, mit englischen Untertiteln: „Sowing the Seeds of the Wild“.

Adam und Dyba Lach haben mit der Kamera Michał Zygmunt, einen Sound-Designer und Oder-Menschen, so wie er sich selbst nennt, auf seiner Reise zurück an die Oder begleitet. Er ist in 40 Tagen 1300km auf einem alten Holzkahn, einer Nussschale gleich, vom Bug über die Weichsel und die Warthe bis zur Oder geschifft. 

Michał Zygmunt war vor seiner Reise in tiefer Trauer über das Fischsterben in der Oder. „Um die Welt zu hören, so wie sie wirklich ist, musst Du unsichtbar werden, verschwinden“, so reflektiert er seine Arbeit im Film. 

Karina, seine elfjährige Tochter, hat ihn mehrere Tage auf dieser Reise begleitet. Für die Regisseurin des Films, Dyba Lach, sind die Momente, in denen Vater und Tochter sich nahe sind, in der sie umgebenden Natur, Schlüsselmomente. Wo haben wir heute noch so einen Umgang auf Augenhöhe miteinander? Es ging am Anfang der Reise um die Regeneration – der Fische, und von uns Menschen, dann aber geht es um die Zukunft, um große Fragen des Gleichgewichts, und der Freiheit. Unsere Ökosysteme, die von Menschen und Flüssen, seien miteinander verwoben. 

Michał Zygmunt meint, er müsse gänzlich verschwinden, eins werden mit dem Fluss. Wir Menschen haben die Landschaft besetzt, klagt er, nur die Flüsse lassen noch zu, dass wir in ihnen ‚abtauchen‘. Das Wässrige und das Wilde in uns – lässt es sich künstlerisch vermitteln? Unterwegs auf seiner Reise treten die Menschen hervor, die ihn begleiten. 

Shownotes

Adam & Dyba Lach: Przynoszę Ci Dzikość (Sowing the Seeds of the Wild). Wystawa Poznań 2025. Die Ausstellung verweist mit einem QR-Code auf ein Gespräch mit den beiden Künstler:innen

Michał Zygmunt (odrasound.design): im Gespräch mit Lukasz Konatowicz: Rzeka jest nasza. Ours is the Oder. In: Odra / The Oder. Ausgabe der Zeitschrift Herito Nr 50 2023