Künstlergespräch mit Sven Johne am 13. Februar 2025

Wir hatten gerade diesen Blog aufgesetzt, vor ziemlich genau zwei Jahren, da meinte Alina zu mir: „Vom Verschwinden“, diesen Film von Sven Johne musst Du Dir ansehen. Ich tat es, einmal, und seitdem noch einige Male mehr, mit Freundinnen, und in der Familie. 

Etwa fünfzehn Minuten folgen wir der Stimme eines elfjährigen Kindes, und tauchen dabei visuell ein in die Landschaft der Stubnitz. Hügeliger Wald an der Ostküste der Halbinsel Jasmund auf Rügen. Kann Landschaft Erinnerungen freisetzen? Wie macht sie das? Kann sich Geschehenes in eine Landschaft „einschreiben“? Erkennen wir, worauf es gegenwärtig ankommt, wenn wir uns einer Landschaft aussetzen? Solche Fragen gehen mir seitdem immer wieder durch den Kopf, und ich beziehe sie gedanklich auf die Flusslandschaft der Oder.

Liebe Alina, ich bin sehr gespannt auf das Künstlergespräch, das wir am 13. Februar 2025 mit Sven Johne führen werden. Wie meinst Du, werden wir uns dieser Frage der Universalität des Films nähern können? Landschaft und Traumata – das beschäftigt ja viele Menschen, vielerorts, andererseits geht es doch im Film um eine ganz bestimmte Landschaft…

Ja, das Thema ist groß, komplex, wo werden wir ansetzen? Der Fakt, dass im Film ein Kind spricht, ist vielleicht ein guter Hinweis und Einstieg. Wir werden Sven Johne fragen, wie er sich dazu entschieden hat. Ich kann mir vorstellen, dass diese Unmittelbarkeit der Wahrnehmung ein Schlüssel ist. Sich nicht über politische oder wissenschaftliche Fragen zu nähern, sondern die Fragen aufzugreifen, die einem plötzlich kommen, beim Spazieren oder Wandern, beim Betrachten. Kinder fragen ungeplant gezielt, dringen an einen Kern von Wahrheit vor. Bei zu langen Ausführungen brechen sie das Gespräch ab; was zählt, ist, dass etwas Wesentliches ausgesprochen wurde.

Ja. Aber hat dieses Kind nicht gerade deshalb ein Interesse an dieser bestimmten Landschaft, weil es auf irgendeine Weise weiß: meine Familie kommt hierher, die Geschichte dieser Landschaft ist auf irgendeine Weise meine eigene? Es ist ja nicht allein eine Kraft der Natur, die Fragen anregt. Geht es nicht doch auch sehr um konkrete biografische Bezüge, um die zurückliegenden Traumata, die entschlüsselt werden wollen?

Das ist es, was Sven Johne filmisch präsentiert: eine Familiengeschichte aus der Perspektive eines Kindes, das auf traumatische Erlebnisse in drei vorangehenden Generationen zurückblickt. Das Spannende ist ja, wie es dazu kommt, und wie Johne es künstlerisch schafft, dass wir kein vergangenheitsfixiertes Kind hören, sondern ein Kind der Gegenwart, und der Zukunft. Da steckt für mich das größte Überraschungsmoment des Films drin, und ich freu mich darauf, hierzu nachzufragen, auch zu dieser besonderen Dramaturgie des Films. Oder meinst Du, dass es diesen Film deshalb gibt, weil der Autor tatsächlich selbst auf der Insel geboren wurde, weil er seine biografische Aufarbeitung von zurückliegenden Traumata in seine Arbeit einflicht, nutzbar macht?

Ja, irgendwie schon, allerdings ist bei mir ist so ein Bild entstanden eines Spaziergangs auf der Abbruchkante, an der Küste der Kreidefelsen, der ganz unterschiedlich ausfallen kann, aber auf jeden Fall intensiv, und der auch gefährlich sein kann, schmerzhaft. Und genau diesen Gedanken übertrage ich dann schon wieder auf mein Spazieren entlang der Oder-Ufer… Mit Biografie zu arbeiten heißt ja nicht, dass eindeutig klar ist, welche Erinnerung zuerst betrachtet werden muss, welche Traumata ausgesprochen.

Ja, und hatte Sven Johne nicht erwähnt, dass ein Teil seiner Familiengeschichte nicht nur auf die Insel Rügen, sondern auch auf die Stadt Frankfurt (Oder) verweist? Ich bin sehr gespannt, was er dazu erzählen wird. Und welche Gedanken unser Gespräch im Publikum auslöst.


Sven Johne, geboren 1976 in Bergen auf Rügen, DDR. 1996 –1998

Studium der Germanistik, Journalistik und Namensforschung an

der Universität Leipzig. 1998 – 2004 Studium der Medienkunst und

Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

(HGB), 2006 Ernennung zum Meisterschüler bei Timm Rautert. 2008

International Studio and Curatorial Program, New York City, USA.

2010/11 Gastprofessur an der HGB Leipzig. Seit 2004 Foto-Text-

Arbeiten, Kurzfilme, Videoinstallationen, Künstlerbücher, Artistic

Research. Zahlreiche Einzel-und Gruppenausstellungen, Festivals

und Biennalen, u. a. Berlin Biennale (2022), Karachi Biennale Pakistan

(2019), Riga Biennale (2018), OFF Biennale Budapest (2017). Zahlreiche

Stipendien und Preise, u. a. VISIT-Programm der E-ON-Stiftung

(2021), Kunstpreis der Akademie der Künste Berlin in der Sektion

Bildende Kunst (2016), Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium (2010),

Marion-Ermer-Preis (2005), Stipendium für zeitgenössische deutsche

Fotografie der Alfried-Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung (2004).

Er lebt und arbeitet in Berlin.


Das Bild dieses Blog-Eintrags ist ein Still aus dem Film „Vom Verschwinden“, Sven Johne, 2022, VG Bild Kunst Bonn, 2025.