Mensch, Land, Fluss – Criewen am Nationalpark Unteres Odertal

Unweit von Schwedt, der Stadt mit den vielen Zentren und langen Industriegeschichte, liegt der Ortsteil Criewen. Hier, in diesem Dorf mit wenigen Straßen, ist das Zentrum des Nationalparks Unteres Odertal. Einzigartig für Deutschland bewahrt dieses Schutzgebiet eine Auenlandschaft. Die der Oder. Und, was für uns noch wichtiger ist, es ist das erste grenzüberschreitende Großschutzgebiet mit Polen. Das interessiert uns. Wie sieht Naturschutz aus, hier im Norden der Oder, nah an der Industrie und im Austausch mit dem Nachbarland?

Obwohl überall Wasser ist, ist die Oder noch weit. Die Auen sind weit.

Dunkel ist es bei der Ankunft. Dunkel und freundlich, wie schon in Schwedt. Trotz Ruhetag bekomme ich im Gasthof ein warmes Essen, fast vegetarisch. Ein Mann aus dem Dorf kommt und isst auch. Dann vier Männer mit orangenen Warnanzügen. An der Theke lachen alle, als sie die Frühstückszeit besprechen. Wieder vor dem Aufstehen? Wieder vor dem Aufstehen. Die Männer sind Monteure aus Polen und schlafen hier seit Wochen, um in der Nähe zu arbeiten. Manchmal kommen Monteure sogar aus Litauen. Einmal blieben sie ein halbes Jahr. Vorjestern, da hamse jeder ne Flasche Jägermeister….aber ne kleine, oder? …Ja, nich so janz große…

Während ich esse und höre, blättere ich in den Broschüren, die für die Gäste bereitliegen. Das Besucherzentrum des Nationalparks zieht im Sommer einige Besucher an, Radfahrer, Familien. Es soll ein großes Aquarium geben, Dinge die Kinder mögen. Mich zieht ein Heft mit anderem Thema an. Es geht um Tabakanbau in der Region Schwedt. Bis in die frühen 2000er Jahre feierten die Menschen hier im Sommer die üppigen Blüten des Nikotinlieferanten mit dem Tabakblütenfest. 2003 ist schon klar, dass es das Ende ist. Aber früher, früher, da müssen es rauschende Feste gewesen sein. Die Menschen sehen wirklich glücklich aus, fast euphorisch.

Pura Vida mit Blatt und Blüte
aus: Stadt Schwedt/Eva-Martina Weyer_Scheunenhaus unter der Tabakblüte

Menschen beschreiben im Buch von Eva-Martina Weyer, wie die Pflanze sie durch ihr ganzes Leben begleitet hat. Manchmal auch schon das der Eltern und Großeltern, Urgroßeltern… 300 Jahre lang wurden Sommer für Sommer die typischen hohen Scheunen gefüllt. In den 1980ern hat der nationale Anbau den Tabakbedarf der DDR zu 20 Prozent gedeckt. Dann ist das großblättrige Gewächs verschwunden. Andere Tabaksorten aus anderen Teilen der Welt wurden wichtiger nach der Wende.

Zur Wende auch ist das Schutzgebiet Unteres Odertal entstanden. Ein Coup aus der Wendezeit, ein kleines Wunder. Später wird Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks, von den Widerständen erzählen, friedlichen und nicht ganz so friedlichen, die es gegen den Nationalpark anfänglich gegeben hat. Knapp 20 Jahre später sind Natur- und Klimaschutz Teil des Selbstverständnisses von Criewen. So wie auch schon in Schwedt Stadt. Das ist kein Wunder, sondern harte Vermittlungsarbeit und ein beständiges Arbeiten an Kompromissen. Doch darum wird es noch im Podcast gehen.

Am Stammtisch dieser Dorfkneipe ist nicht gegen das Heizungsgesetz gewettert worden.

Es ist kalt in Criewen am nächsten Tag. Die falsche Jahreszeit für Kanufahrt und Radtour, lange Spaziergänge und Eisbecher. Ich bin allein unterwegs auf den Straßen Wege. Der Wind pfeifft, der Schnee ist nass.

Kein Eis zum Schnee

Es ist genau die richtige Jahreszeit, um zu erfahren, dass Winter nur in der Stadt oll ist. Ich ahne die Weite der Auen, als ich Richtung Wasser gehe. Bin ich schon an der Oder? Weit ist es noch, dazwischen grün und Wasser und grün und Wasser. Aber ein Zaun hindert mich.

ASP – Afrikanische Schweinepest zieht Grenzen

Es gibt wieder Grenzkontrollen an der Oder. Und es gibt Zäune, die versuchen, Tiere davon abzuhalten, Landesgrenzen zu überwinden. Die Maßnahmen sind umstritten. Der Zaun ist teuer. Und der Erreger ist widerstandsfähig. Menschen können ihn mit ihren Gummistiefeln in die Ställe tragen. Er haftet an Werkzeug, Fahrzeug, Lebensmitteln und gelangt so zu den gesunden Tieren. Da hilft kein Zaun.

Zurück im Ort gelange ich in den englischen Garten, den Peter-Joseph Lenné Anfang des 19. Jahrhunderts für die von Arnims angelegt hat. Lenné, der Gartenzauberer der Preußen, Lenné, der Stadtvisionär von Berlin. Lenné war überall und sogar hier.

Es ist die Lerche. Im Schnee

Ich gehe weiter und sehe: In Criewen stehen Tabakscheunen. Höher, schmaler als andere Scheunen. In Criewen steht ein Herrenhaus. Nicht verfallen, gut saniert. Im Herrenhaus stehen Prospektständer. Ein Verein schreibt über die Schweinepest-Politik des polnischen Nachbarn: “Ehemalige DDR-Bürger wissen noch von früher: Vom großen, östlichen Nachbarn lernen, heißt siegen lernen.” In Criewen steht eine Bücherzelle. Herausragend illustrierte DDR-Kinderliteratur, neue Bilder für neue Kinder. In Criewen stehen Wisente auf der Weide. Auentiere waren es, vielleicht werden sie einmal wieder wild. Und in Criewen steht eine Hühnerfarm. Ich denke an ein Konzentrationslager.

Hühner. Zäune. Parallelen


Doch eigentlich geht es an diesem Ort um den Schutz von Tieren, Pflanzen, Wasser und Boden. Und des Menschen in letzter Konsequenz:
In Criewen ist der Sitz der Verwaltung des Nationalparks Unteres Odertal.

Der Nationalpark Unteres Odertal ist ein langes Band mit Knoten, Knubbeln und kleinen Unterbrechungen, von Lunow über Schwedt und Gartz bis Mescherin. Vor allem aber ist es ein einmaliges Schutzgebiet, denn es erstreckt sich über die polnisch-deutsche Grenze. Auf polnischer Seite liegt der Park Krajobrazowy Dolina Dolnej Odry, Landschaftsschutzpark Unteres Odertal. Er befindet sich in den Landkreisen Gryfino und Police. Die Verbindungen sind gut, der Austausch freundschaftlich. Die politische Ebene muss noch folgen. Die Aussischten sind gut.

In einem Gebäude neben dem Herrenhaus in Criewen findet das Gespräch mit Dirk Treichel statt. Er leitet den Nationalpark seit zwei Jahrzehnten. Und er hat dafür gesorgt, dass vor Ort aus Abwehr Akzeptanz wird. Nein, er sorgt weiterhin dafür, denn Akzeptanz für Naturschutz und die Einschränkungen, die dieser für Menschen bringt, ist ein andauernder Prozess.
„Prozess“ ist ein zentraler Begriff für Dirk Treichel, denn sein Verständnis von Naturschutz ist, Prozesse zu schützen. Und so hat er Geduld und Bewusstsein für solche Abläufe, die mäandrieren wie kein kein deutscher Fluss mehr. Zum Beispiel, wenn Anwohner an einem Waldgebiet den Wunsch haben, dass die Verwaltung aufräumen möge. Die zunehmend starken Stürme haben viele Bäume umstürzen lassen. Bäume, die von Trockenheit und Schädligen sowieso schon geschwächt waren. Schön sieht das nicht aus. Aber es ist weder die Schuld der Natur, noch des Nationalparks. Es ist eine Folge von fast monokultureller Fortwirtschaft und den rasanten Veränderungen des Klimas. Die Ursache ist der Mensch.
Dirk Treichel hat die Anwohnerinnen eingeladen, mit ihm in diesen Forst zu gehen. Und er ließ sie entdecken, wie der Forst beginnt, wieder ein Wald zu werden, wenn man ihn lässt. Wenn man den Prozessen vertraut, die Natur Natur sein lässt, wie es das Motto für Naturschutz in Deutschland ist.

Aus dem Gespräch, das von gutem, in der Tasse aufgegossenem Kaffee begleitet war und einem freundlichen Hund, gehe ich voll von neuem Wissen wieder zur kleinen Bushaltestelle. Ich habe erfahren, dass die deutsch-polnische Grenze an der Oder dynamisch ist. Sie ist Strömungen unterworfen. Und dass es für Dirk Treichel gut ist, dass die Wisente in Criewen hinter Zäunen stehen. Er begrüßt Wisente im Nationalpark.

Polnische Wisente willkommen. Aber kommen sollen sie von selbst

Aber sie sollen alleine kommen, von sich aus. So wie andere Tiere über die Grenze kommen und dann im Auenland wieder heimisch werden. Früher gab es hier Wisente und das Heckrind und den Wolf sowieso. Rehe können die Oder durchschwimmen. Auch das wusste ich nicht. Andere Menschen in der Region finden die Zäune unnötig. Soll den Wisenten doch geholfen werden, wieder ansässig zu sein. Der Mensch kann und soll berichtigen, was sich falsch entwickelt hat. Doch dazu mehr im Audioformat. In unserem Podcast zur Ökologie der Oder. Mensch, Land, Fluss.

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