Die Farbe pink, die Volksrepublik Polen und die Notwendigkeit, mit einem Kindheitstrauma umzugehen

„Das pinke Hochzeitsbuch“ ist eines, das damals häufig in den Regalen von jungen Eltern in der Volksrepublik Polen stand. Viele lebten kontinuierlich weiter im Land, aber es waren auch Viele, die dieses Land in den 1980er Jahren fluchtartig verließen, um in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Für Przemek Zybowksi ist das Wiedererkennen dieses Buches viele Jahre nach der eigenen Ausreise aus Polen mehr als nur ein Fundstück, das Kindheitserinnerungen weckt. Es öffnet einen Zugang auf eine Vergangenheit, die unzugänglich geworden war. Nahezu beiläufig, eindrücklich, geht es um das Erleben von Diktatur und Flucht, und es geht, wie es im Klappentext seines Romandebüts heißt, um die „Verlassenheit eines Jungen, die zugleich die Verlassenheit eines ganzen Landes ist (…)”.

Der Plot ist ein collagiertes Aufspüren dessen, was sich im Jahr 1984 in einer polnischen Stadt zugetragen hat und was sich, Jahre später, zum Zeitpunkt des Abschieds von der Großmutter bei deren Beerdigung in ebendieser Stadt nochmals verdichtet. 1984 haben die Eltern des Autors entschieden, Polen zu verlassen und die kleine Schwester mit nach Deutschland zu nehmen, ihn aber, den damals Achtjährigen, als Pfand zurückzulassen. Es bestand die Gefahr, dass die Geheimpolizei das zurückgelassene Kind dem Waisenhaus überlässt. Wann und unter welchen Umständen würde er seine Eltern wiedersehen? Würde er sie überhaupt wiedersehen (wollen)? Auch Jahrzehnte nach diesem einen Jahr im Ungewissen bleibt herausfordernd, wie mit dem Erlebten umgegangen werden kann. Und doch, oder gerade mit dieser Herausforderung umgehend, bringt der Autor Verbindungslinien zu den Menschen und damit auch zum Land seiner Kindheit auf magische Weise zum Leuchten. Der Schmerz des Abschieds und die Unmöglichkeit einer Versöhnung sind wichtige erzählerische Linien, jedoch erstrahlt neben ihnen das Pink eines Hochzeitsbuches, und damit auch das energievolle, forsch mit Ambivalenzen umgehende, freiheitsgetriebene Leben.

Es ist die Notwendigkeit, aus eigener Kraft eine Form der Darstellung zu finden, die mich die Buchseiten hat verschlingen lassen. Die Notwendigkeit auch, die eigene Intuition staunend zu befragen. Pink bleibt eine starke Farbe.

Hier spricht Przemek mit seiner ehemaligen Schulkameradin (ein Feature im Deutschlandfunk). “Das pinke Hochzeitsbuch” ist 2022 bei Luchterhand erschienen.