Schlesenburg

Aufwachsen in einem sozialen Wohnungsbau in einer mittelgroßen Stadt. „Schlesenburg“ wurde die Siedlung am Stadtrand genannt. Die Romanhandlung im Sommer 1989 beginnt damit, dass „die Wohnung der Galówka brannte“. Das Feuer entfacht eine Spurensuche, die einen heißen Sommer lang andauert. Der Protagonist nimmt sie als Kind auf, weil es gar nicht anders möglich war, vielleicht weil er hier, und nur hier zu Hause war. Dass es um sein Erwachsenwerden ging, konnte das Grundschul-Sommerferienkind damals nicht ganz durchschauen – und genau dafür vermittelt Paul Bokowski ein Gefühl. Die polnischsprachigen Kapitelüberschriften, die unübersetzt für sich stehen, deuten es an. Als Kind hörte er zwar solche Wörter wie „precz“, „czytaj“, „przepraszam“, aber sie vermittelten sich ihm vor allem über einen zischenden Wortklang und einen unerbittlichen Beat des Gesagten. Die Sprache, die in der „Schlesenburg“ gesprochen wird, ist Polnisch oder Schlesisch, aber den dort aufwachsenden Kindern bleibt der Zugang zur Sprache weitgehend verwehrt. Wie dies passieren konnte, bei Eltern mit allerbesten Absichten, die die in Polen zurückgelassenen Familienangehörigen schmerzlich vermissten – und wie sich eine solche Erfahrung in ein Leben einschreibt – in solcherart Geheimnisse weist Paul Bokowski ein. 

Bei einer Lesung von “Schlesenburg” im Februar, in Berlin-Moabit, ging es darum, dass sein Romandebüt eine Hommage an die Elterngeneration sei, die in den 1980er Jahren viel auf sich genommen hatte. Und ebenso schreibe Paul Bokowski für unsereins, die “Polenkinder”. Jetzt ist mittlerweile Frühling, und “Schlesenburg” gibt mir immer noch und immer wieder Anlass, eigene Erinnerungen an ein Aufwachsen im sozialen Wohnungsbau einer mittelgroßen Stadt hervorzuholen. Anders als Paul Bokowski konnte ich, als meine Familie 1981 nach Deutschland kam, bereits Polnisch. Aber eine Befangenheit, die Sprache weiter zu sprechen, baute ich dennoch auf. Auch in unserem Umfeld lebten damals viele Menschen, die schlesisch sprachen, doch das Schlesische stand für uns so viel für Nachbarschaft wie auch für Abgrenzung. Mit “Schlesenburg” baue ich Grenzen, die damals gezogen worden sind, weiter ab, in meiner eigenen Arbeit. Warto cytać. Jeżeli nie wszystko o migracjach-hiperintegracjach, to właśnie to.

“Schlesenburg” von Paul Bokokowski ist 2022 bei btb erschienen.

Im Netz sind zahlreiche Videos und Rezensionen zu finden, interessant fand ich diese:

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170922.migration-der-stumme-schmerz.html

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/literatur/ein-text-der-dem-leser-pures-glueck-schenkt-paul-bokowskis-roman-schlesenburg-li.273864

https://literaturkritik.de/bokowski-schlesenburg,29624.html